München, Köln (epd). Nach der Kritik an den evangelischen Kirchen wegen der schmalen Datenbasis für die Studie über Missbrauch gibt es unterschiedliche Darstellungen über Vereinbarungen im Vorfeld der Studie. Der bayerische Landesbischof Christian Kopp sagte am Dienstag im Münchener Presseclub, seine Landeskirche habe vor Veröffentlichung der sogenannten ForuM-Studie keine Kenntnis davon gehabt, dass alle Personalakten gesichtet werden sollten. Am Freitag hatte Kopp dem Evangelischen Pressedienst (epd) gesagt, aufgrund der Menge an Akten habe der Aufwand für die Sichtung die personellen und zeitlichen Ressourcen überstiegen. Inzwischen habe er einen neuen Kenntnisstand bei dem Thema, erläuterte Kopp am Dienstag auf epd-Nachfrage und erklärte so die unterschiedlichen Aussagen.
Die Präsidentin der bayerischen Landessynode, Annekathrin Preidel, will Einsicht in die nichtöffentlichen Verträge zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland und den Machern der Studie. Preidel sagte dem epd, angesichts der geäußerten Kritik bei der Präsentation der Studie am vergangenen Donnerstag müsse man genau wissen, was mit den Forscherinnen und Forschern vereinbart wurde: "Wir brauchen da als Landeskirche Klarheit."
Ein Teilprojekt der sogenannten ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in der EKD und der Diakonie hatte zum Ziel, Kennzahlen zur Häufigkeit von Missbrauch zu erheben - unter anderem auf Basis von Personal- und Disziplinarakten. Die Forschenden fanden 2.225 Betroffene und 1.259 Beschuldigte, gehen aber wegen der eingeschränkten Datenlage von einer weitaus höheren Dunkelziffer aus. Denn die Landeskirchen hatten bis auf eine lediglich Daten aus Disziplinarakten und zu bereits bekannten Fällen bereitgestellt. Das hatten die Forscher kritisiert. Ursprünglich gehörte eine stichprobenartige Durchsicht von Personalakten zum Forschungsdesign.
Preidel erläuterte, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern werde nun sämtliche Personal- und nicht nur die Disziplinarakten auswerten: "Nach der doch harschen Kritik des Forscher-Teams gibt es doch ehrlicherweise gar keine Alternative dazu."
Der evangelische Theologe Reiner Anselm von der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität sagte am Dienstag im Deutschlandfunk, die Kritik an den Kirchen sei in Teilen überzogen, aber diese müssten dennoch grundlegende Konsequenzen ziehen. Die ForuM-Studie sei von vornherein als ein Anfang der Aufarbeitung angelegt gewesen. Kritiker müssten beachten, dass mit der Studie daher gar nicht alles habe geleistet werden können. Er glaube nicht, dass die evangelischen Kirchen die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt strategisch verschleppen wollten, sagte Anselm. Das Problem sei eher eine Unprofessionalität, die für die protestantischen Kirchen typisch sei. Man habe etwa in den Kirchenleitungen den Aufwand unterschätzt, den die Bereitstellung von Personalakten erfordert hätte.
Anselm sagte, die Rollen in den evangelischen Kirchen müssten besser getrennt werden. Künftig sollten Pfarrerinnen und Pfarrer klarer zwischen ihrem Beruf und Privatem unterscheiden. Eine Vermengung dieser Rollen habe sexualisierte Gewalt begünstigt. Außerdem sollten Seelsorge und Aufarbeitung nicht in einer Hand liegen. Der Theologe argumentierte für eine stärkere staatliche Verantwortung für die Aufarbeitung. Es dürfe nicht zu einer "Betroffenheitskultur, die in eine Handlungsstarre führt", kommen, sagte er: "Dass man immer betont, wie furchtbar das alles ist, und sich entschuldigt, aber nachher passiert eigentlich gar nichts mehr."